Im Zuge der Corona-Krise ringt die EU um medizinisches Material und Schutzausrüstung, helfen tut sie kaum. Dafür zeigt Kuba einmal mehr, was internationale Solidarität bedeutet und hat mehr als 50 Ärzt*innen und Krankpfleger*innen nach Italien geschickt. Über die lange Tradition der kubanischen Solidarität schreibt Julia Eder.
Die medizinischen Brigaden des kubanischen Internationalismus haben eine lange Tradition, obwohl die US-Sanktionen ihre Arbeit verkomplizieren und Kuba lange Zeit selbst ein relativ armes Land war. Umso bemerkenswerter ist es, dass Kuba nun dem Corona-gebeutelten Italien zur Hilfe eilt. Vergangenen Samstag kamen mehr als 50 kubanische Ärzt*innen in Rom an. Ihr Ziel ist die Lombardei.
Laut WHO Vorbild für die ganze Welt
Seit der Revolution 1959 hat Kuba mehr als 300.000 Ärzt*innen und Pflegekräfte in 158 Länder in Lateinamerika, Afrika und Asien entsendet. Aktuell sind ungefähr 50.000 Personen in knapp 70 Ländern im Einsatz. Bis heute hat Kuba mit neun Ärzt*innen pro 1.000 Einwohner*innen die höchste Versorgungsrate der Welt. Das ist auch der Grund, weshalb Gesundheitsindikatoren, wie zum Beispiel die Lebenserwartung, so gut sind wie in vielen Staaten des globalen Nordens. Die Kindersterblichkeitsrate ist beispielsweise in den USA höher als auf Kuba. Im Jahr 2014 bezeichnete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) das kubanische Gesundheitssystem als Vorbild für die ganze Welt.
Während der letzten Jahre wurde die medizinischen Missionen in Kooperation mit Venezuela bekannt. Außerdem hat Kuba Ärzt*innen in entlegene Gegenden Brasiliens entsendet. Nach dem Erdbeben in Haiti war medizinisches Personal aus Kuba ebenso im Einsatz wie bei mehreren Ebola-Ausbrüchen in afrikanischen Ländern.
Die Anfänge: Revolutionäre Außenpolitik
In den 1960er Jahren wurde der Internationalismus ein wichtiger Teil der revolutionären Außenpolitik Kubas. Ursprünglich wirkte er als Werkzeug der sogenannten Süd-Süd-Kooperation. Durch die Entsendung von qualifiziertem Personal wurden Guerrillabewegungen, revolutionäre Regierungen und nationale Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und Afrika unterstützt. Neben militärischer Hilfe umfasste dies auch Leistungen im Gesundheits- und Bildungsbereich.
Diese Politik war bemerkenswert, weil Kuba selbst ökonomische Probleme hatte und auf die sogenannte „sozialistische Bruderhilfe“ der Sowjetunion angewiesen war. Es wäre Kuba also unmöglich gewesen, größere Geldsummen zur Förderung progressiver Kräfte in anderen Ländern aufzubringen. Außerdem herrschte nach der Revolution 1959 noch Ärztemangel, da die der Oberschicht angehörenden Ärzt*innen nach Miami geflohen waren.
Hilfe für Chile, Angola, Tschernobyl…
Im Mai 1960 erfolgte der erste Einsatz einer medizinische Brigade Kubas nach einem Erdbeben in Chile. Drei Jahre später sandte das Land zirka 50 Ärzt*innen nach Algerien. Seither gab es viele Einsätze, meist in Entwicklungsländern, die meist bilateral ausgehandelt wurden. In jüngerer Zeit gab es auch Kooperation mit der WHO oder mit Venezuela, um Drittstaaten zu unterstützen. Besonders bekannt wurde der Einsatz kubanischer Ärzt*innen in Angola Ende der 1970er Jahre – eine der größten Auslandsmissionen in der kubanischen Geschichte. Darüber hinaus entsendete Kuba medizinisches Personal nach Südafrika nach dem Ende der Apartheid oder nach Tschernobyl zur Versorgung der Strahlenopfer.
In den letzten Jahrzehnten sind es also vor allem gut ausgebildete Notfallbrigaden, die Kuba rasch in Katastrophengebiete schickt. Die Einsätze beschränken sich dabei nicht nur auf ideologische Verbündete. Allerdings gibt es politische Gegner*innen, die den Einsatz der Kubaner*innen nicht zu schätzen wissen. Als Präsident Jair Bolsonaro in Brasilien an die Macht kam, verwies er die kubanischen Ärzt*innen des Landes.
Tatsächlich handelt es sich üblicherweise nicht ausschließlich um Ärzt*innenbrigaden. Die kubanische Hilfe umfasst auch Krankenpfleger*innen sowie Medikamente, Impfstoffe, medizinische Ausrüstung, Beratung und wissenschaftlichen Austausch. Zum Teil wird auch der Bau von Spitälern unterstützt. Ein wichtiger Bestandteil der kubanischen Auslandseinsätze besteht außerdem in der Ausbildung lokaler Ärzt*innen.
Die Kosten für die Brigaden werden von der kubanischen Regierung bilateral ausgehandelt. Der Einsatz kann auch gratis erfolgen, wenn es sich um ein besonders armes Land handelt.
Medizin-Uni der Solidarität
Neben der Entsendung von medizinischem Personal gibt es noch eine andere Initiative, die Aufmerksamkeit verdient. An der „Lateinamerikanischen Hochschule für Medizin“ (ELAM) auf Kuba werden vorrangig Medizinstudierende aus Ländern des globalen Südens ausgebildet. Die ELAM besteht seit 1961, als die ersten 15 Studierenden aus Guinea ein Stipendium für das Medizinstudium auf Kuba erhielten. Für das Studium werden keine Studiengebühren erhoben, allerdings müssen die Absolvent*innen in ihren Heimatländern die Kosten abarbeiten. Diese Regelung soll bewirken, dass die fertigen Ärzt*innen tatsächlich in ihren Heimatländern praktizieren und es nicht zu einem sogenannten Brain Drain kommt.
Die ELAM bildet vor allem Studierenden aus strukturschwachen, armen Regionen aus. Seit Eröffnung der Hochschule haben mehr als 20.000 Studierende ihren Abschluss auf Kuba gemacht und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Darüber hinaus unterstützt Kuba auch medizinische Fakultäten im Jemen, in Lateinamerika und Afrika.
Eigennütziger Hintergedanken
Kuba wurde wiederholt vorgeworfen, dass es mit den medizinischen Einsätzen nur sein Image in der Welt verbessern wollte. Während der letzten 15 bis 20 Jahre kam noch ein neuer Kritikpunkt dazu: Kuba würde seinen Export medizinischer Dienstleistungen nach der Logik des Marktes ausrichten. Kuba lässt sich nämlich pro entsendete*r Person in Dollar bezahlen. Üblicherweise ist der Maßstab der Ärzt*innenlohn im Empfängerland. Die Ärzt*innen und das Pflegepersonal bekommen allerdings nur einen Bruchteil des Geldes selbst.
Den Rest verwendet der kubanische Staat, um seine Leistungsbilanz zu verbessern. Neben dem Tourismus ist die „medizinische Diplomatie“ somit eine wichtige Einnahmequelle von Fremdwährungen. So stabilisiert sie auch die Wirtschaft auf Kuba selbst. Es gibt also selbstverständlich einen Hintergedanken. Allerdings wäre die Welt wohl ein besserer Ort, wenn auch andere Länder ihren Devisenmangel auf diese Weise ausgleichen würden bzw. könnten. (Vielen fehlt aber das dafür notwendige, gut ausgebaute Gesundheitssystem).
Wo bleibt die europäische Solidarität?
Angesichts der dramatischen Lage in Italien fällt eines deutlich auf: die fehlende Hilfe der anderen EU-Staaten. Die europäischen Staaten ringen sogar um medizinische Schutzausrüstung und konfiszieren Schutzmasken für andere EU-Länder. Die EU war schnell und hart bei der Durchsetzung von Sparmaßnahmen in Südeuropa, auch im italienischen Gesundheitssystem. Nun fühlt sie sich aber nicht zuständig.
Selbst wenn Kuba nur wegen des Images helfen sollte, Russland aus geopolitischen Erwägungen handelt und auch Chinas Hilfslieferungen mit Hintergedanken erfolgen: Der europäische Solidaritätsgedanke macht gerade eine ganz schlechte Figur.
Der Beitrag erschien zuerst auf mosaik-blog.at